Von Papst Franziskus anstecken lassen - Kapital nicht mehr entlohnen!
Der Inhalt der neuen Sozialinitiative der Kirchen " Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft" ähnelt sehr stark dem Grundtenor des Buches "Das Kapital" von Kardinal Reinhard Marx. In beiden Dokumenten werden zwar ganz gut einige Missstände in unserer Gesellschaft aufgezeigt, aber es werden daraus nicht die erforderlichen grundlegenden Veränderungen abgeleitet und gefordert.
Es ist geradezu grotesk, dass unsere derzeitige neoliberal-kapitalistische Ökonomie (Heiner Geißler bezeichnet sie ganz richtig als "Turbokapitalismus") als "soziale Marktwirtschaft" bezeichnet wird und der systematische Sozialabbau, vor allem durch die rot/grüne und die danach folgende schwarz/rote Regierung als notwendige Anpassungsmaßnahmen zur Sicherung der "sozialen Marktwirtschaft" dargestellt werden. Auf Seite 20 steht:
"Der Gesetzgeber hat in den letzten zehn Jahren zahlreiche Schritte unternommen, um das Wirtschafts- und Sozialsystem an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen. Gerade die Finanzmarktkrise und die europäische Staatsschuldenkrise haben deutlich gemacht, wo diese Reformpolitik Früchte trägt, aber auch, wo noch Defizite liegen. Nach wie vor besteht Handlungsbedarf etwa in der Ausgestaltung der Finanzmarktordnung."
Dass diese "Anpassungsmaßnahmen" zur größten unsozialen Umverteilung von unten nach oben geführt, den Kapitalüberschuss an den Finanzmärkten durch die Steuersenkungen für Unternehmen und Kapitalbesitzer beschleunigt und dadurch die Krise mit heraufbeschworen haben, wird nicht erwähnt.
Sogar als positiv wird auf der gleichen Seite vermerkt: "…durch die Rückbesinnung auf dieses Ziel ["das Prinzip der Freiheit auf dem Markte mit dem des sozialen Ausgleichs zu verbinden"] hat Deutschland die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise der Jahre 2007– 2009 ohne größere wirtschaftliche und soziale Verwerfungen überstanden." Mit keinem Wort wird erwähnt, dass dies durch das Lohndumping und den daraus resultierenden Handelsbilanzüberschüssen erreicht wurde, eine im höchsten Maße unsoziale und egoistische Politik, mit der unsere Arbeitslosigkeit "exportiert" wurde und dadurch ein wesentlicher Grund ist, weshalb andere Staaten in die Krise stürzt wurden.
Wirtschaftliches Wachstum wird nicht infrage gestellt
Diese "Sozialinitiative" der Kirchen ist vor allem deshalb nicht nur wertlos, sondern sogar gefährlich, weil sie suggeriert, dass wir mit kleineren Korrekturen an der aktuellen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik im Prinzip so weiterfahren können wie bisher. Es wird zwar festgestellt (Seite 22): "Unser gegenwärtiges Wohlstandsmodell ist aufgrund der Begrenztheit der vorhandenen natürlichen Ressourcen und der Grenzen der Belastbarkeit des Planeten nicht weltweit verallgemeinerbar und damit in gewisser Weise fragwürdig", dennoch lautet gleich der erste Leitsatz: "Gemeinsame Verantwortung heißt, wirtschaftliches Wachstum in den Dienst für den Menschen zu stellen."
Heißt das, das nur wir wachsen dürfen, die anderen aber nicht?!
Trotz der Erkenntnis, dass die Ressourcen begrenzt und der Klimawandel eine grundlegende Veränderung unserer Wirtschafts- und Konsumweise erfordert, wird wirtschaftliches Wachstum nicht infrage gestellt!! Das ist wirklich schlimm! Es ist nur dadurch erklärbar, dass die Autoren diesen Schritt nicht gehen wollten, weil sie dann gezwungen gewesen wären, die heutige kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung in Frage zu stellen, denn sie ist wegen der Kapitalakkumulation auf Wachstum angewiesen. Ohne Wachstum kommt der Kapitalismus schnell in eine Krise.
Wenn die Kirchen ihrer Verantwortung gerecht, wieder "Salz der Erde" werden und wirklich Christus nachfolgen wollen, dann müssen sie eine ganz neue Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung fordern. Sie ist unumgänglich. In dieser neuen Ordnung kann das Kapital nicht mehr entlohnt werden. Dies ist nicht nur notwendig, um vom Wachstumszwang wegzukommen, es ist auch gerecht, denn alles reale Kapital entsteht durch den Einsatz der beiden Produktionsfaktoren Arbeit und natürliche Ressourcen. Eine Entlohnung des Kapitals ist deshalb eine Belohnung für den Verbrauch von Ressourcen, was ein fundamentaler Fehler ist, denn die natürlichen Ressourcen sind Gemeingüter, die nicht privat zur Gewinnerwirtschaftung genutzt werden dürfen. Und die Entlohnung des Kapitals schmälert die Entlohnung der Arbeitskräfte, denen das Kapital seine Existenz verdankt.
Wir brauchen eine ganz neue Marktwirtschaft, in der die Akteure für zukunftsfähiges, soziales und gemeinwohldienliches Handeln belohnt werden.
Ich hoffe sehr, dass sich unsere Kirchen in Deutschland von Papst Franziskus anstecken lassen, die versprochene Diskussion über das reichlich misslungene "Papier" ermöglichen und dann sehr bald eine ganz neue, zukunftsweisende Sozialinitiative veröffentlichen.
Kommentare
sehr scharfsinnig seziert!
Danke für den Beitrag. Dieses kritische sezieren von Texten ist eigentlich eines Theologen würdig, der es gewohnt ist, Bibeltexte zu hinterfragen.
Es wird zurecht festgestellt, dass Anpassuingen, oder "Stellschraubenpolitik" absolut nicht ausreicht. In einem aufschlussreichen Buch von Horst Afheldt aus der "Vorkrisenzeit" (Wirtschaft, die arm macht - 2005) wurde dies schon eindringlich deutlich gemacht. Nach einem Abschnitt über eine zerfallende Gesellschaft schreibt er:
Aber will man diese Gesellschaft nicht, muss nicht nur etwas, sondern sehr viel verändert werden. [...] Jeder dieser Faktoren ist historisch entstanden. Sei es aus freien politischen Entscheidungen, sei es aus Entscheidungen, die die Umstände erzwangen. Wer hier nach Faktoren sucht, die es zu fördern gilt, um "Wohlstand für alle" [...] zu erreichen, muss sich deshalb in einer zweiten Stufe auch fragen, ob diese Faktoren durch (politische) Entscheidungen überhaupt noch geschaffen werden können - und wenn ja, wie. Dabei wird sich dann meist herausstellen, dass ein einzelner Faktor in dem entstandenen Gewebe gegen Veränderungsversuche weitgehend resistent ist. Was dazu führt, dass das aus diesen Faktoren zusammengesetzte System sich wie eine Killeralge gegen alle anderen Funktionsweisen behauptet. Denn je mehr Faktoren gleichzeitig geändert werden müssen, damit sich überhaupt ein Faktor ändern kann, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit, dass sich überhaupt etwas bewegt. Und so ist es wohl die sicherste Wette auf die Zukunft, davon auszugehen, dass sich nichts ändert.
Es müssen mindestens *viele* Stellschrauben verändert werden. Insgesamt muss gesagt werden: es ist dringend eine Korrektur der Sozialinitiative vonnöten. Auf zu SI 2.0.
Wenn diese Webseite dazu beiträgt, wäre seine Funktion voll erfüllt!