Die Ökumenische Sozialinitiative braucht Ergänzungen!
Die Ökumenische Sozialinitiative liefert einen wichtigen Impuls zu den ethischen Maßstäben, die für das Handeln in unserem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem wegwei-send sind. Die gegenwärtigen Herausforderungen, vor denen wir in Deutschland und weltweit stehen, werden auf richtige Weise analysiert und die entscheidenden Fragen zur ordnungspolitischen Handhabe und Gestaltung dieser Zeichen unserer Zeit aufgeworfen. Dahinter steht letztlich die große Leitfrage, wie wir in Zukunft miteinander leben wollen und wie wir auch für die kommenden Generationen ein gutes Leben ermöglichen und gewährleisten können. Klar ist, dass das Ziel die Entwicklung einer nachhaltigen Kultur des Lebens sein muss.
Der unmittelbare Bezug der Sozialinitiative zur Botschaft von Papst Franziskus in "Evangelii Gaudium" wird insbesondere in der Forderung deutlich, sich für eine Wirtschaftsweise einzusetzen, die dem Menschen dient und den Menschen in den Mittelpunkt allen Handelns stellt. Dafür sind zugleich das verantwortliche Handeln des Einzelnen und erneuerte ordnungspolitische Rahmenbedingungen notwendig. Der wegweisende Leitgedanke zur Umsetzung dieses Anspruchs ist eine Verantwortungskultur, die für alle Lebensbereiche wie das Finanz- und Wirtschaftswesen, das Sozialsystem oder den Bildungsbereich zu entwickeln und zu etablieren ist.
Auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen für den Sozialstaat müssen stimmen
Zur Verwirklichung dieser Verantwortungskultur bedarf es meiner Ansicht nach der Ergänzung von zwei entscheidenden Aspekten, die in dem Sozialpapier bisher höchstens eine untergeordnete Rolle spielen:
Erstens steht fast ausschließlich die möglichst gerechte Verteilung der vorhandenen Ressourcen innerhalb der Sozialen Marktwirtschaft im Fokus. Dies ist ein ganz wichtiger Aspekt und notwendiger Gegenstand vieler ethischer und politischer Debatten. Jedoch braucht es auch einen funktionierenden Markt und Wettbewerb als Voraussetzung zur Erwirtschaftung dieser Ressourcen, die es zu verteilen gibt. Es muss dafür Sorge getragen werden, dass diese Ressourcen als existentielle Grundlage für den Sozialstaat auch morgen und übermorgen noch vorhanden sind. Auf welche Weise dies auf Dauer und auch für zukünftige Generationen gelingen kann, wird im Papier nicht thematisiert. Dabei beruht das Erfolgsmodell der Sozialen Marktwirtschaft genau auf der Verbindung dieser beiden Aspekte: der Stärken und Vorteile des marktwirtschaftlichen Wettbewerbes und dem sozialen Ausgleich. Diese Verbindung ist damals wie heute die geniale Antwort auf einen ungezügelten Kapitalismus, in deren Mittelpunkt das christliche Menschenbild steht, das die Prinzipien der Personalität und somit der Eigenverant-wortlichkeit jedes Einzelnen sowie der begründeten Solidarität in sich vereint.
Es kann nicht richtig sein, dass das Leitbild einer Sozialen Marktwirtschaft für den sozialen Ausgleich in Anspruch genommen und gelobt wird, die andere Komponente – Wettbewerb und Markt – jedoch in ihrer Bedeutung für die Entwicklung von Lebenschancen und Lebensqualität vernachlässigt werden. Die realen Bedingungen des Wirtschaftens und des Wettbewerbs um Arbeit und Marktanteile in der globalisierten Welt sind ein bestimmender Rahmen für das verantwortliche Handeln, sowohl der Unternehmer und Manager als auch der Entscheidungsträger in der Politik. Wenn wir zukünftig weiterhin zur Spitzengruppe der Länder mit guter Lebensqualität gehören wollen, setzt das voraus, dass auch die Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft und unserer staatlichen und demokratischen Systeme Weltspitze bleibt. Dies zu sagen und zu vermitteln ist von grundlegender Bedeutung für die notwendigen Entscheidungen und für die Akzeptanz der Menschen für viele Entscheidungen.
Für die gesamte Volkswirtschaft und für die Verantwortlichen in Politik und Staat ist hier dieselbe Situation gegeben wie für deutsche Unternehmen, deren Produkte und Dienstleistungen in großer Konkurrenz mit Spitzenprodukten aus Ländern mit hoher Leistungsfähigkeit und guten Qualitätsstandards stehen. In diesen Unternehmen gibt es die Arbeitsplätze morgen und übermorgen nur noch, wenn die Firma auch mit den Entwicklungen in der Spitzengruppe der Welt mithalten kann. Dafür braucht es die richtigen staatlichen und ordnungspolitischen Rahmenbedingungen. Nur so können die wirtschaftlichen Voraussetzungen für den Sozialstaat auf Dauer geschaffen und Verteilungs- und Chancengerechtigkeit ermöglicht werden.
Diese fundamentalen Rahmenbedingungen werden in der Sozialinitiative kaum angesprochen. Das birgt die Gefahr, die Anspruchsmentalität und Erwartungshorizonte der Menschen weiter zu fördern, aber nicht die notwendige Bereitschaft zur Veränderung und zur Anstrengung einzufordern. Kirchliche Positionen und Verlautbarungen zu politischen und gesellschaftlichen Fragen müssen sich aber intensiv mit diesen ökonomischen und politischen Realitäten beschäftigen, um von den Entscheidungsträgern ernst genommen zu werden.
Auf das Engagement der Bürger können wir nicht verzichten
Der meiner Ansicht nach zweite ergänzungsbedürftige Punkt knüpft an diese Feststellung an. Das Sozialpapier richtet sich in erster Linie an den Staat und die politischen Verantwortungsträger, befasst sich aber kaum mit der Subsidiarität als notwendigem Verantwortungs- und Gestaltungsprinzip für unsere Gesellschaft. Dies beinhaltet die eigene Verantwortung aller Bürgerinnen und Bürger für eine soziale und humane Gesellschaft.
Diese Verantwortung konkretisiert sich in vielfältigem bürgerschaftlichem Engagement, das für die soziale Qualität eines Landes von herausragender Bedeutung ist und in der Vergangenheit zu wichtigen sozialen Fortschritten geführt hat. Als exemplarische Beispiele dafür sind die Behindertenhilfe oder die Hospizbewegung zu nennen. Auch in anderen Aufgabenfeldern wie im Umweltbereich kamen viele innovative und wegweisende Entwicklungen durch engagierte Bürgerinnen und Bürger. Auf dieses Engagement können wir auch in Zukunft nicht verzichten. Wir sind zur Bewältigung vieler Herausforderungen wie dem Klimaschutz oder der demografischen Veränderungen sogar darauf angewiesen.
Viele Initiativen, Projekte und Ideen, die gesellschaftliche Entwicklungen vorangebracht haben und in der Gegenwart von Bedeutung sind, kamen dabei von engagierten Christinnen und Christen und aus dem gesamten kirchlichen Bereich. Ein neues Sozialpapier der christlichen Kirchen müsste diesem Aspekt daher viel größere Bedeutung zumessen.
Dieses Engagement ist aufgrund der veränderten Sozialstrukturen heute natürlich auch einem Wandel unterworfen. Somit sind nicht nur Veränderungen im staatlich verantworteten Sozialstaat notwendig, sondern auch neue und innovative Antworten zur Bildung sozialer Netzwerke und zur Neugestaltung von bürgerschaftlichem Engagement. Ein wichtiger Aspekt ist dabei die stärkere Verbindung von ehrenamtlichen und professionellen sozialen Diensten.
Als Kirchen haben wir hier und in vielen anderen Feldern eine wichtige Vorbildfunktion, wenn wir Gesellschaft und Politik verändern und gestalten wollen. Dazu gehört auch, dass wir den eigenen ethischen Maßstäben in unserem Handeln als Arbeitgeber, in der Finanz- und Anlageverwaltung, als Auftraggeber und als Kunde gerecht werden müssen. Nur dann sind wir ein glaubwürdiger Partner für andere im gesellschaftlichen Dialog.
Kommentare
Nur eine Frage:
Nur eine Frage:
"eine Wirtschaftsweise, die dem Menschen dient und den Menschen in den Mittelpunkt allen Handelns stellt" - was heißt das konkret? Wer wäre gegen diese Forderung? Sicherlich kein deutscher Politiker und auch kein deutscher, vermutlich überhaupt kein Unternehmensmanager.
Der entscheidende Punkt ist doch, diese allgemein erwünschte Wirtschaftsweise zu finden, sie sich allererst einmal vorstellen zu können.
Wenn nun, wie die Verfasser des Sozialpapiers schreiben (S. 13), die Kirchen keine besondere ökonomische Kompetenz besitzt (sind damit eigentlich im Sinne einer Volk-Gottes-Ekklesiologie alle Christen gemeint, auch die, die Unternehmen leiten? oder nur die Bischöfe - deren Aufgaben wohl denen in einem größeren mittelständischen Unternehmen entsprechen?), was bleibt dann für die Kirchen noch zu tun?