"Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit?" Kritische Anfragen an die Ökumenische Sozialinitiative

Die Ökumenische Sozialinitiative der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland hat eine breite Diskussion angestoßen. Die zentralen Etappen des Diskussionsprozesses, vom Kongress "Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft" bis zu den Stellungnahmen, Gastbeiträgen und Kommentaren hier auf dieser Webseite, sind im Dokumentationsband "Im Dienst an einer gerechten Gesellschaft" zusammengefasst, den Sie hier als PDF herunterladen können

1. Wieso wird schon im Ansatz hinter das Gemeinsame Wort von 1997 zurückgegangen?

Der vorliegende Text wird als ein "AllenWohl-NiemandWeh"-Papier empfunden: gesellschaftspolitisch wie ökumenisch. Gewünscht wird ein klares, mutiges, auch provozierendes Wort der Kirchen, das als gemeinsames christliches Zeugnis in der gewandelten Problemlage erneut Orientierung bietet.

2. Mit welchem Politikverständnis identifizieren sich hier die Kirchen?

Zielgruppe des vorliegenden Papiers sind die herrschenden Eliten in Wirtschaft und Politik ("Politikberatung"). Stattdessen sollten die Kirchen die Gesamtgesellschaft aus dem Blickwinkel der Ausgegrenzten und Armen ins Auge fassen, um nachhaltige politische Veränderungen zu bewirken.

3. Von welchem theologischen Ansatz aus wird hier argumentiert?

Dieser Blick auf unsere Gesellschaft von den Exkludierten her ist nicht beliebig, sondern als biblische Vorzugsoption christlicher Tradition vorgegeben. Sie ist in einer solchen Stellungnahme theologisch-ethisch zu begründen und vom biblischen Gerechtigkeitsbegriff her zu entfalten.

4. Warum werden die Krisen des Finanz- und Wirtschaftssystems und Alternativen dazu nicht grundsätzlich reflektiert?

Angesichts dieser Krisen mit globalen Auswirkungen muss die sich teilweise ideologisch begründende neoliberale Marktwirtschaft kapitalismuskritisch reflektiert werden. Die Chancen einer großen Transformation hin zu einer sozialen, demokratischen und ökologischen neuen Ordnung können realpragmatisch und visionär entfaltet werden. Die Kirchen sollten langfristige Perspektiven eines neuen Wirtschaftens im Dienste des Lebens vortragen.

5. Wieso produziert das Papier durch dröhnendes Verschweigen dessen, was dran ist, "Schattenthemen"?

Wichtige politische Orientierungsfragen und aktuelle Themenbereiche, in denen bereits hier und jetzt, auch in den Kirchen um Orientierung gerungen wird, sind im Papier gar nicht oder nur unzureichend angesprochen. Es sind dies neben der Ökonomie des Genug die Genderperspektive, Fragen der Verteilungsgerechtigkeit, die Migrationsproblematik, die Demokratisierung der EU und der Aufbau eines europäischen Sozialstaates.

6. Warum ist das Papier so provinziell?

Es kommt fast ausschließlich der deutsche und kaum der europäische Kontext in den Blick. Ökumene bedeutet aber auch, dass man der "gemeinsamen Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft" nur durch ein global gerechtes Wirtschaften gerecht werden kann.

7. Wann kommt das neue ökumenische Sozialwort?

Als Fazit: Wir stehen erst am Anfang eines Prozesses, der von der Ökumenischen Sozialinitiative zu einem neuen ökumenischen Sozialwort führen sollte. Der Berliner Kongress sollte der Beginn eines von den Kirchenleitungen strukturierten basisorientierten Konsultationsprozess sein mit dem Ziel, ein neues ökumenisches Sozialwort zu verabschieden: analog dem ökumenischen Prozess in Österreich und in Anlehnung an den Konsultationsprozess, der dem Gemeinsamen Wort von 1997 vorausging.

 

Veranstaltende der Diskussionsveranstaltung waren die Evangelische Hoffnungsgemeinde in Kooperation mit der Evangelischen Akademie Frankfurt, die Katholische Akademie Rabanus Maurus, die Leserinitiative Publik-Forum, das Ökumenische Netz Initiative Kirche von unten und die Pfarrstelle Gesellschaftliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Frankfurt am Main.

Kommentare

Den kritischen Anfragen kann ich nur mit ganzem Herz und Verstand zustimmen und danke den Mitwirkenden an der Diskussion und den Verfassern.
Angesichts dieser und vieler weiterer kritischer Beiträge geht meine besorgte Frage in Richtung der Kirchenleitungen: wie ist es möglich, dass Papiere verabschiedet werden, die gegenüber der Basis so weit zurückbleiben – und zwar in solch ethisch entscheidenden Fragen wie der verantwortlichen Haltung gegenüber der Schöpfung, wie sozialer Gerechtigkeit und Frieden, aber auch bezüglich Sachkompetenz (Beispiel Generationengerechtigkeit) und hinsichtlich eines konkreten Denkens und Handelns?