Ökologisch verantwortbare Wege aus der Arbeitslosigkeit entwickeln
Sozialinitiative – das klingt wie Aufbruch, weckt Erwartungen. Also z.B. für einen Anstoß oder Weg zur Überwindung der Arbeitslosigkeit. Doch solche Erwartungen werden vom vorliegenden Text vom 28. Februar 2014 nicht erfüllt, obwohl doch gerade die Arbeitslosigkeit – neben prekären Löhnen – eines der drängendsten sozialen Probleme ist.
Wenn ich für dieses Problem den vorliegenden Text mit dem Sozialwort von 1997 vergleiche, komme ich zu dem Ergebnis, dass wir als Kirche damals weiter waren und die Problematik der Arbeitslosigkeit gründlicher im Blick hatten. 1997 und auch schon in der Diskussionsgrundlage von 1995 waren wenigstens Überlegungen zu Ursachen und Entstehung von Arbeitslosigkeit eingeflossen, wenn auch nicht konsequent zu Ende gedacht worden. Ebenso waren Ansätze dafür vorhanden, welche Wege zur Überwindung der Arbeitslosigkeit beschritten werden könnten. Diese Ansätze waren zwar nicht wirklich befriedigend, aber es war immerhin versucht worden. Dagegen ist Überwindung der Arbeitslosigkeit im 2014er Papier nicht mal ein explizites Thema – im Gegenteil: die erreichte Senkung der Arbeitslosigkeit – real auf "nur" rund 3 Millionen plus etwa 1,5 Millionen nicht registrierte Arbeitslose – wird als Erfolg gefeiert. Als ob wir damit zufrieden sein könnten.
Unsere Regierung setzt bezüglich Abbau der Arbeitslosigkeit als (angeblich) einziges probates Mittel auf Wirtschaftswachstum. Mindestens in zweifacher Hinsicht wäre Kritik an dieser strategischen Linie notwendig: Zum einen sind realistische Wachstumsraten viel zu klein für Abbau oder gar Überwindung der Arbeitslosigkeit. Und zum anderen ist eine quantitative Ausweitung des Produktionsvolumens weder aus energetischer noch aus stofflicher Hinsicht ökologisch vertretbar. Beide notwendige(!) Kritikpunkte kommen in der Sozialinitiative der Kirchen nur ungenügend zur Geltung.
Ein drittes unbeachtetes Problem ist: deutsches Wirtschaftswachstum korreliert mit noch höheren Exportüberschüssen, die zwangsläufig größere Leistungsbilanz-Defizite bei schwächeren Wettbewerbern bedeuten – und dort wachsende Arbeitslosigkeit! Oder anders gesagt: Abbau von Arbeitslosigkeit bei uns ist verbunden mit höherer Arbeitslosigkeit in schwächeren Ländern. Eine global denkende Kirche sollte diese Effekte im Blick haben, statt nur auf den deutschen Tellerrand fixiert zu sein.
Weniger Regelarbeitszeit = weniger Arbeitslose
Eine vorrangig auf Wachstum orientierte Strategie ist aus den genannten Gründen kein verantwortbarer Weg. Das betonen nicht nur katholische Wirtschaftsethiker – auch renommierte Politiker wie Prof. Kurt Biedenkopf oder Wirtschaftswissenschaftler wie Prof. Meinhard Miegel üben inzwischen grundsätzliche Kritik am Wachstumsfetischismus und vertreten die Notwendigkeit einer Strategie, die ohne dauerndes quantitatives Wirtschaftswachstum auskommt. Es muss nicht alles immer nur wachsen und es darf das auch nicht, weil wir nur eine Erde haben.
Ein möglicher und verantwortbarer Weg zum Abbau der Arbeitslosigkeit besteht dagegen darin, die noch benötigte Gesamt-Arbeitszeit anders zu verteilen. Eine kurzgefasste Argumentation dafür ist folgende: Heute haben wir eine reale Regelarbeitszeit für Vollzeit-Beschäftigung von knapp 40 Wochenstunden. Würden wir dagegen wie vor reichlich 100 Jahren noch 12 Stunden am Tag und dies an 6 Tagen die Woche arbeiten, dann kämen wir mit reichlich 55% der heute Beschäftigten aus – die anderen 45% wären dann zusätzliche Arbeitslose! Analog würde eine generelle Absenkung der Regelarbeitszeit für abhängig Beschäftigte die Arbeitslosigkeit senken.
Die dabei auftretenden Effekte sind relativ komplex und 1995 ausführlich im Rahmen einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) untersucht worden. Damals hätte nach dieser Studie eine Regelarbeitszeit-Senkung um nur 10% die Arbeitslosigkeit in Deutschland fast auf Null gesenkt. Dem Vernehmen nach sind dieser Studie keine Fehler nachgewiesen worden, trotzdem wurden aus den Ergebnissen keine politischen Konsequenzen gezogen.
Wir als Kirche müssen Menschen stärker in sozialen Nöten abholen
Zurück zur Sozialinitiative der Kirchen: Von einer wirklich vorwärts weisenden Initiative muss erwartet werden, dass sie das Ziel "Senkung der Arbeitslosigkeit" erstens deutlich und explizit artikuliert und dabei zweitens solche Ansätze wie eine andere Verteilung des noch notwendigen Arbeitsvolumens durch Senkung der Regelarbeitszeit aufgreift und energisch vertritt. Die Kirchen müssen dabei keine Anleitung zur politischen Umsetzung geben, aber sie dürfen, ja sie müssen die biblische Botschaft insofern mit Nachdruck zur Sprache bringen, als die gerechte Verteilung der Güter ein Anliegen ist, das sich wie ein roter Faden durch die ganze Bibel zieht.
Um diese Forderung umzusetzen, wäre es erforderlich, dass nicht nur nicht-betroffene Experten die offenbaren Mängel des aktuellen Textes von Februar 2014 beseitigen, sondern dass christliche Sozialverbände und Gewerkschaften dabei mitwirken, die näher als alle Experten bei denen stehen, die unter den offensichtlichen sozialen Ungerechtigkeiten leiden.
Über den Text der Sozialinitiative der Kirchen hinausgehend ist dies zugleich ein Thema für den bis 2015 geplanten Dialogprozess der katholischen Kirche. Denn: Nicht erst seit Papst Franziskus, aber besonders nun mit ihm sollte allen bewusst sein: Es reicht nicht, schöne Gottesdienste zu feiern und kirchenrechtliche Fragen im Zusammenhang mit z.B. wiederverheirateten Geschiedenen zu klären, sondern wir als Kirche müssen die Menschen stärker als bisher auch in ihren sozialen Nöten abholen. Nur dann können wir hoffen, dass nicht mehr so viele Menschen aus der Kirche auswandern und dass vielleicht sogar ein Teil der bisher Ausgewanderten zurück kommt. Dazu müssen wir – in voller Übereinstimmung mit dem biblischen Auftrag – soziale Ungerechtigkeiten deutlicher artikulieren und wie Pfarrer Kolping und Bischof Ketteler (schon im 19. Jahrhundert!) deren Beseitigung einfordern. Ein verbesserter Text der Sozialinitiative der Kirchen ist die Möglichkeit, dies unter kompetenter Mitwirkung von katholischen Sozialverbänden (wie z.B. Caritas und KAB) und Gewerkschaften umzusetzen. Nutzen wir als Kirche diese nicht so schnell wiederkehrende Chance! "Wir als Kirche" meint dabei ausdrücklich uns alle, nicht nur unsere Bischöfe!